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EBSW - Wort auf den Weg 2/2012

Der Sprung in der Schüssel

Es war einmal eine alte chinesische Frau, die zwei große Schüsseln hatte. Diese trug sie an den Enden einer Stange, die sie zum Wasserholen über ihre Schultern legte. Eine der Schüsseln hatte einen kleinen Sprung. Am Ende der langen Wanderung vom Fluss zum Haus der alten Frau war sie nur noch halb voll. Die andere Schüssel war makellos und blieb immer ganz gefüllt.

Die makellose Schüssel war natürlich sehr stolz auf ihre Leistung, aber die Schüssel mit dem Sprung war betrübt, dass sie nur die Hälfte dessen verrichten konnte, wofür sie gemacht worden war.

Nach zwei Jahren, die ihr wie ein endloses Versagen vorkamen, sprach die Schüssel zu der alten Frau: „Ich schäme mich so wegen meines Sprungs, aus dem den ganzen Weg zu deinem Haus Wasser läuft.“

Die alte Frau lächelte. „Ist dir aufgefallen, dass auf deiner Seite des Weges Blumen blühen, aber auf der Seite der anderen Schüssel nicht? Ich habe auf deiner Seite Blumen gesät. Nun gießt du sie jeden Tag, wenn wir nach Hause laufen. Zwei Jahre lang konnte ich diese wunderschönen Blumen pflücken und den Tisch damit schmücken. Wenn du nicht genauso wärst, wie du bist, würde diese Schönheit nicht existieren und unser Haus beehren.“

Liebe Rundbrief-Leser,
diese Geschichte hat mir so gefallen, dass ich sie Ihnen weitergeben wollte. Eigentlich haben wir alle doch irgendwie einen Sprung in der Schüssel – etwas, wo wir nicht hundertprozentig funktionieren, wo etwas daneben geht, wo wir uns als Versager empfinden.

Aber, ist das Grund genug, die Schüssel wegzuwerfen? Die Frau, die das Wasser auch mit der gesprungenen Schüssel holt, weiß um den positiven Nebeneffekt ihres Handelns: Blumen konnten gedeihen auf der Seite, auf der die Schüssel nicht alles Wasser für sich behielt.

Eine Welt, in der nur Platz hat, was perfekt ist, ist eine gnadenlose Welt. Wenn alles auf Funktion beschränkt wird, wo bleibt die Schönheit? Wo bleiben die nutzlosen, aber liebenswerten Eigenarten? Wo hat das Leben noch Platz?

Aber gerade dahin scheint manches in unserer Welt zu gehen: Schon kleine Kinder haben einen Terminplan, der keinen Raum mehr frei lässt. Die Kindheit ist durchorganisiert, um möglichst bald ein produktives Mitglied der Gesellschaft zu erhalten. Genauso geht es Menschen, die sich durch Krankheit oder Alter an den Rand gedrängt sehen. Sie fragen sich manchmal: Was habe ich noch für einen Wert? Und hat es nicht schon Politiker gegeben, die dafür plädierten, Älteren nicht mehr jede medizinische Hilfeangedeihen zu lassen?

Da wird der Wert eines Menschen nur noch nach seiner Funktion bemessen. Die Würde des Menschen steht auf dem Spiel. Der Mensch ist für sich schon unendlich wertvoll. So ist er von Gott gemacht: als sein Gegenüber, nicht als Werkzeug, liebenswert um seiner selbst willen, nicht nur durch das, was er tut und kann.

Die Schüssel mit dem Sprung wird ihrer eigentlichen Bestimmung nicht ganz gerecht, und doch hat sie ihre Berechtigung. Man muss nur den Blick dafür finden, welche Schönheit sie zu bringen in der Lage ist. Ist es so nicht auch mit jedem Menschen, egal was er kann oder leistet? Und ist das nicht auch gerade das Prinzip unseres Gottes, der das Schwache mit besonderer Liebe ausgewählt hat (1. Korinther 1, 27), und das auch Jesus Christus bezeugt, wenn er sagt:
„Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken?“

In diesem Sinne habe ich gerne einen Sprung in der Schüssel, meint

Pfarrer Christoph Dinkelacker

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